28/07/2023
Medienmitteilung des Bundesgerichts Urteil vom 19. Juni 2023 (6B_911/2021)
Bis 10 Gramm Cannabis für Eigenkonsum: keine Einziehung Eine geringfügige und für den Eigenkonsum bestimmte Menge Cannabis (bis zu 10 Gramm) darf nicht gerichtlich zur Vernichtung eingezogen werden. Dafür fehlt es an der gesetzlichen Voraussetzung einer Anlasstat, zumal der Erwerb und der Besitz einer geringfügigen Menge Cannabis zum Eigenkonsum legal sind. Dass zuvor mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit strafbare Handlungen von Drittpersonen begangen wurden, reicht für den Nachweis einer Anlasstat nicht aus. Das Grenzwachtkorps hatte 2019 am Bahnhof St. Margrethen einen Mann kontrolliert und bei ihm 2.7 Gramm Ma*****na und 0.6 Gramm Haschisch gefunden. Das Kreisgericht Rheintal sprach ihn vom Vorwurf eines Verstosses gegen das Betäubungsmittegesetz (BetmG) frei; es ordnete indessen die Einziehung und die Vernichtung des beschlagnahmten Cannabis an. Das Kantonsgericht St. Gallen bestätigte den Entscheid. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde des Mannes teilweise gut; das sichergestellte Cannabis ist ihm auf Aufforderung herauszugeben. Das Bundesgericht kommt in seinem Urteil zum Schluss, dass eine geringfügige und zum Eigenkonsum bestimmte Menge Cannabis (bis 10 Gramm) nicht eingezogen werden darf. Die Sicherungseinziehung von Gegenständen verlangt in jedem Fall einen unmittelbaren Bezug zu einer konkreten Straftat (Anlasstat). Der Konsum von Cannabis kann als Übertretung mit einer Busse bestraft werden. Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrats führte in ihrem Bericht von 2011 zur Einführung des Ordnungsbussenverfahrens beim Konsum von Cannabis an, dass nur das Cannabisprodukt eingezogen werden könne, welches gerade konsumiert werde. Nicht eingezogen werden könne hingegen eine geringfügige Menge, die der Täter oder die Täterin nur bei sich trage. Dieser Auffassung der Kommission ist zu folgen. Wer eine geringfügige Menge Cannabis für den eigenen Konsum vorbereitet, ist gemäss Artikel 19b des BetmG nicht strafbar. Zu diesen straflosen Vorbereitungshandlungen gehören gemäss Rechtsprechung etwa der Erwerb und der Besitz. Diese Vorbereitungshandlungen zum Konsum sind legal, weshalb die betroffene Person damit keine Anlasstat begeht. Weiter fragt sich, ob die Tat einer Drittperson als Anlasstat für die Einziehung dienen kann, beispielsweise der Anbau, die Einfuhr, der Versand oder die Veräusserung des Cannabisprodukts. Zwar trifft es zu, dass dem legalen Erwerb oder Besitz einer geringfügigen Menge von Cannabis zum Eigengebrauch oftmals strafbare Handlungen von Dritten vorangehen. Das steht aber nicht fest. Unhaltbar wäre vor allem die pauschale Annahme, dass immer strafbare vorgelagerte Handlungen vorliegen. Dass eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür besteht, reicht für den Nachweis einer Anlasstat nicht aus. Der entsprechende Nachweis wäre nur mit weiterführenden Ermittlungshandlungen möglich. Die Polizei kann an Ort und Stelle aber nicht prüfen, ob dem straflosen Besitz eine tatbestandsmässige und rechtswidrige Anlasstat von Dritten vorangegangen ist. Es kann nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprechen, wenn die Polizei in Bezug auf ein strafloses Verhalten (Besitz) weitere Untersuchungen tätigen und einzig im Hinblick auf eine Einziehung an die zuständige Behörde rapportieren müsste. Ein derartiger Aufwand wäre nicht verhältnismässig. Insbesondere scheint es nicht sachgerecht, dafür ein aufwändigeres Verfahren durchzuführen als bei der Ahndung des Konsums, für das der Gesetzgeber bewusst das rasche und einfache Ordnungsbussenverfahren vorgesehen hat.
Die Staatsanwaltschaft wollte 3 Gramm Cannabis vernichten, die bei einem Mann sichergestellt wurden. Das Bundesgericht ordnet nun die Rückgabe an – weil der Stoff zum Eigengebrauch bestimmt war.